Führungspersonen sehen sich Anforderungen verschiedener Anspruchsgruppen ausgesetzt. Zuerst sollen sie das Handeln von Menschen auf das unternehmerische Ziel ausrichten und der Unternehmensleitung gegenüber zeigen, dass sie zu den finanziellen Ergebnissen beitragen. Gleichzeitig sollen sie aber auch den Mitarbeitern gerecht werden mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten. Und der Markt hat schließlich auch noch spezifische Erwartungen. In Zeiten der Klimadebatte könnte der zum Beispiel vehementer als früher erwarten, dass sich das Unternehmen mit ökologischen Idealen positioniert.
Wie gut kann eine Führungskraft in dieser Spannungssituation überhaupt noch mit Idealen führen? Braucht es nicht viel mehr eine klare Linie mit Blick auf die Umsatz- und Ertragszahlen? Und zwingen harte Zahlen nicht doch über kurz oder lang auch zu einer „harten Führung“?
In meiner Lehre vertrete ich seit vielen Jahren, dass eine Führung dann die Ergebnisse erreicht, die wirklich erreicht werden können, wenn sie auf gelebter Gefolgschaft und gemeinsamer Überzeugung statt auf Gehorsam und Angst oder reinem Nutzendenken und nüchterner Aushandlung basiert. Die Kritik liegt nahe, dass eine am Ende immer ökonomisch ausgerichtete Führung mit Idealen verklärt werden soll, die aber gar nicht wirklich notwendig und sachdienlich sind.
Inzwischen hat sich aber auch die Forschung mit derartigen Fragen befasst und Interessantes zu Tage befördert. Brown und Trevino (2005) etwa untersuchten die Wirksamkeit von Führungskräften als Rollenmodelle. Braucht es und wirkt das Vorbildverhalten von Führungskräften? Antwort: Ja, es wirkt und ist wichtig. Vielleicht überraschend an ihrer Arbeit: Es sind gar nicht unbedingt die Top-Manager, die als Vorbild am meisten wirken, sondern jene Führungspersonen, die näher an ihren Mitarbeitern sind. Eine schöne Aufwertung für die mittlere Führungsebene einerseits – und für das Streben nach Vorbildverhalten andererseits.
Keck et al. (2018) vertiefen die Frage, wann genau Mitarbeiter ihre Vorgesetzten als ethisch handelnd wahrnehmen. Sie kommen zum Ergebnis, dass ethisches Verhalten keine Frage des Verhaltens, sondern der Wahrnehmung ist. Ob nämlich die Mitarbeiter eine Führungsperson als ethisch handelnd wahrnehmen, werde maßgeblich davon beeinflusst, wie die Beziehung zu dieser Person ist. Daraus schließen die Autoren, dass der Kommunikation und Transparenz der Führungskräfte hohe Bedeutung zukommt.
Diesem Schluss kann ich gut folgen; die Pointierung jedoch, ethisches Handeln sei Ergebnis lediglich der Wahrnehmung, kann ich auch aus der Sicht von Viktor Frankl nicht teilen. Auch ein unbeobachteter Mensch kann ethisch handeln und ist ethisch nicht in erster Linie vor den Augen anderer, sondern vor seiner persönlichen Letztinstanz, zum Beispiel dem eigenen Gewissen, verantwortlich.
Ich finde diese Unterscheidung auch deswegen wichtig, weil sie tatsächliches Sozialverhalten und nicht nur Symbolisierung betrachtet, und weil sie die Führungsperson weniger der Gefahr aussetzt, inkongruent und in der Folge als Heuchler betrachtet zu werden. Denn das wissen wir ebenfalls aus der Forschung: Eine Führungskraft kann ihre Führungsbeziehung und Führungswirkung kaum je so gründlich ruinieren, als wenn sie von ihren Mitarbeitern als Heuchler wahrgenommen wird.(Brown, Trevino 2014: 595)
Zusammengefasst lässt sich sagen: Ethische Führung wirkt, und zwar auf Beziehungen zu den Mitarbeitern wie auch auf die Ergebnisse. Ethische Führung braucht Vorbildverhalten, das wirklich ernst gemeint ist und überzeugend gelebt wird. Und schließlich: Ja, ethische Führung hat eine wichtige kommunikative Komponente. Aber anders als manche Kollegen aus der Forschung erkenne ich das persönliche ethische Verhalten mit Frankl immer einer Instanz verpflichtet, die höher angeordnet ist als wir selbst. Welche das ist, muss jeder für sich entscheiden. Die innere Stimme des Gewissens ist aber sicher ein wichtiger Zugang dazu.
Zitierte Literatur:
- Brown, Michael E., und Linda K. Treviño. 2014. „Do Role Models Matter? An Investigation of Role Modeling as an Antecedent of Perceived Ethical Leadership“. Journal of Business Ethics 122 (4): 587–98. https://doi.org/10.1007/s10551-013-1769-0.
- Brown, Michael E., Linda K. Treviño, und David A. Harrison. 2005. „Ethical Leadership: A Social Learning Perspective for Construct Development and Testing“. Organizational Behavior and Human Decision Processes : A Journal of Fundamental Research and Theory in Applied Psychology 97 (2): 117–34.
- Keck, Natalija, Steffen R. Giessner, Niels Van Quaquebeke, und Erica Kruijff. 2018. „When Do Followers Perceive Their Leaders as Ethical? A Relational Models Perspective of Normatively Appropriate Conduct“. Journal of Business Ethics, November. https://doi.org/10.1007/s10551-018-4055-3.