Coaching als Begleitung im Nach-Denken

Das Coaching-Gespräch ist zunächst ein besonderes Format sogenannter Prozessberatung oder -begleitung. In seiner Arbeitsdimension setzt Coaching professionelle und systematische Methoden dafür ein, dass der Coachee Antworten auf seine Fragen, Probleme für Lösungen, neue Varianten für alte Verhaltensweisen und Einstellungen findet.

Das Coaching-Gespräch ist darüber hinaus jedoch noch eine besondere Gelegenheit, die es so im Alltag immer weniger gibt, und die im Berufsalltag schon aus reiner Zeitknappheit kaum noch existiert. Das Coaching-Gespräch ist eine Chance auf Begegnung im Sinne von Martin Buber, in der das Ich erst am Du zum Ich wird [1].

Gespräche in Grenzsituationen

Bei der Begegnung zweier Menschen geht es um das spezifisch Menschliche, das Eigentliche, um das, was wirklich bedeutsam ist – und sei es auch in einer konkreten und einzigartigen Situation. Oft sind Anlässe für Coaching-Gespräche das, was Karl Jaspers „Grenzsituationen“ [2] nennt: Krisenhafte Lebensphasen, in denen sich unvermittelt neue Fragen auftun, deren Schwere oft allein kaum zu tragen ist. Karl Jaspers weiß aber auch, dass Existenz, das eigentliche Sein, erst in diesen Grenzsituationen beginnt. Das ist eben nicht einfach das Gerede von „Krisen sind Chancen“, das oft mit Bitterkeit verbunden ist, weil unverschuldet in Not Geratenen die Verantwortung für ihre Situation aufgebürdet werden soll. Grenzsituationen bezeichnen Momente, in denen das Leben selbst uns Fragen stellt, wie Viktor Frankl [3] sagt, und das sind eben die Momente, in denen wir beginnen können, Sinn zu finden in dem was wir tun oder auch erleiden.

Coaching als Mit-Denken und Sinn-Findung

In diesen Momenten professionelle und erprobte Hilfe zu erfahren ist praktisch gesehen eine Möglichkeit, einen Weg mit Orientierung und Begleitung zu gehen statt ihn allein durch Versuch und Irrtum zu suchen. Menschlich gesehen ist es eine Chance eben auf wirkliche Begegnung, sinnerfüllte Bedeutung und damit existentielle Bereicherung.

Genau das ist der Grund, warum Coaching für mich persönlich das Kernstück meiner beruflichen Arbeit darstellt, denn diese Begegnungen sind auch für mich existentiell bereichernd. Für meine Gesprächspartner, so lassen mich die Rückmeldungen meiner Coachees schließen, sind sie oft biographische Wendepunkte, an denen Unklarheit zu Geistesblitz, Orientierungs- und Auswegslosigkeit zu Freiheitsgefühl, Entscheidungsdilemma zu Aufbruchsfreude und Leid zu Sinnerfahrung werden.

Literatur

[1] Buber, Martin. 1962. Werke – Schriften zur Philosophie. Bd. 1. 22 Bde. Werke von Martin Buber. München: Kösel Verlag. Oder als Einzelausgabe: Buber, Martin, und Bernhard Casper. 2011. Ich und du. Nachdr. Universal-Bibliothek 9342. Stuttgart: Reclam.

[2] Jaspers, Karl. 2000. Was ist der Mensch? Philosophisches Denken für alle. Herausgegeben von Hans Saner. Serie Piper 3740. München: Piper.

[3] Frankl, Viktor Emil. 1996. Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn: eine Auswahl aus dem Gesamtwerk. München [u.a.]: Piper.